In welchen Fällen wird ein Notvorstand bestellt?
Ein Verein darf nicht führungslos sein
Jeder Verein braucht einen Vorstand, der ihn gerichtlich und außergerichtlich vertritt. Der Vorstand wird oftmals von der Mitgliederversammlung gewählt und dann im Vereinsregister eingetragen. Mit der Eintragung ist auch für Dritte erkennbar, wer den Verein vertreten und z.B. Verträge in seinem Namen abschließen darf. Es kann und darf rechtlich keinen führungslosen Verein geben, das heißt, es muss immer eine natürliche Person vorhanden sein, die für den Verein Erklärungen entgegennimmt und abgibt. Der Hintergrund: Der Verein ist (wie z.B. auch eine GmbH) eine juristische Person. Da eine juristische Person weder etwas sagen kann noch etwas unterschreiben kann, braucht es dafür eine natürliche Person, also einen Menschen.
Alleine oder nur zu zweit vertretungsberechtigt?
Es besteht oftmals der Glaube, dass alle Vorstandsmitglieder für den Verein z.B. Erklärungen unterschreiben oder Verträge abschließen können. Dies ist aber falsch, denn zwischen dem Vorstand (der aus der Satzung bestimmte Aufgaben hat) und dem vertretungsberechtigten Vorstand besteht ein Unterschied. Wer den Verein nach § 26 BGB vertreten darf, ergibt sich durch einen Blick in das Vereinsregister. Dort ist auch erkennbar, ob ein Vorstandsmitglied den Verein allein vertreten darf oder nur zusammen mit einem anderen Vorstandsmitglied (siehe Beispiel im Kasten) – dies ergibt sich im Übrigen auch immer aus der Satzung.
Wenn der Verein nur von zwei Vorstandsmitgliedern gemeinsam vertreten werden darf, dann müssen auch beide einen Vertrag unterschreiben. Andernfalls ist die Erklärung für den Verein nicht wirksam und ein Vertrag nur schwebend wirksam. Auch Kündigungserklärungen oder andere rechtsgeschäftliche Erklärungen müssen von allen vertretungsberechtigten Vorstandsmitgliedern unterzeichnet sein. Nur wenn nach der Satzung und Eintragung im Vereinsregister Einzelvertretungsbefugnis besteht, kann jedes Vorstandsmitglied alleine wirksam Verträge für den Verein abschließen.
Verein wird führungslos oder handlungsunfähig
Aus ganz unterschiedlichen Gründen kann der Verein führungslos werden, d.h. er wird nicht mehr von den erforderlichen Vorstandsmitgliedern vertreten. Das ist der Fall, wenn ein Vorstandsmitglied seinen Rücktritt erklärt (siehe Gartenfreund 11/2020), verstirbt oder wegen dauerhafter Krankheit sein Amt nicht mehr ausüben kann. Auch kann die Amtszeit ablaufen, wenn sie laut Satzung begrenzt ist. Sie verlängert sich bis zur Neuwahl nur, wenn dies ausdrücklich in der Satzung geregelt ist. Der Gesetzgeber hat aber während der Pandemie bis 31. Dezember 2021 eine Sonderregelung beschlossen: Die Amtszeit kann ausnahmsweise auch dann wei ter ausgeführt werden, wenn es keine Verlängerungsregelung in der Satzung gibt.
Ein Vorstandsmitglied kann sein Amt auch durch Nichtigkeit der Wahl oder durch Abberufung verlieren. Durch Inhaftierung oder einen längeren Auslandsaufenthalt kann es dazu kommen, dass plötzlich ein handlungsfähiger Vorstand fehlt. Nach der Rechtsprechung (OLG Köln, 2 Wx 16/02) können auch Konflikte zwischen von unterschiedlichen Mitgliederversammlungen gewählten Vorstandsmitgliedern einen Verein handlungsunfähig machen. Je nach Satzung kann ein verbleibendes Vorstandsmitglied ausreichen, um den Verein handlungsfähig zu erhalten – wenn es die Einzelvertretungsbefugnis hat. Anders bei der Gesamtvertretung: Angenommen, der Verein hat vier Vorstandsmitglieder, von denen zwei gemeinsam den Verein vertreten. Wenn zwei Vorstandsmitglieder zurücktreten und eines ausgewandert ist, dann kann das verbleibende Vorstandsmitglied den Verein nicht vertreten.
Notvorstand nur in dringlichen Fällen
Die Lösung des Gesetzgebers findet sich in § 29 BGB und hat auch nur einen – wenn auch längeren – Satz: „Soweit die erforderlichen Mitglieder des Vorstands fehlen, sind sie in dringenden Fällen für die Zeit bis zur Behebung des Mangels auf Antrag eines Beteiligten von dem Amtsgericht zu bestellen, das … das Vereinsregister führt.“
Die Rechtsprechung hat mehrere dringende Fälle anerkannt, in denen ein Notvorstand zu bestellen ist, u.a.:
- eine erforderliche Einberufung einer Mitgliederversammlung,
- ein Amtslöschungsverfahren bei Unterschreitung der Mindestmitgliederanzahl,
- die Vertretung des Vereins bei Löschung von Vorstandsmitgliedern nach Ablauf der Amtszeit,
- die laufende Erledigung wichtiger sportlicher oder wirtschaftlicher Angelegenheiten,
- wenn der Verein infolge Amtsniederlegung über kein Vorstandsmitglied mehr verfügt.
Die Dringlichkeit besteht immer dann, wenn der Verein ohne Notvorstand erforderliche Maßnahmen nicht ergreifen kann oder dem Verein ein Schaden droht. Kein dringlicher Fall liegt vor, wenn zurückgetretene, aber noch im Vereinsregister eingetragene Vorstandsmitglieder eine Mitgliederversammlung für eine Neuwahl einberufen können.
Für die Bestellung eines Notvorstands ist ein Antrag an das Vereinsregister, in Berlin das Amtsge richt Charlottenburg, erforderlich. Er kann von jedermann gestellt werden, der ein Interesse an dem Notvorstand hat, z.B. Vereinsmitglieder, verbleibende Vorstandsmitglieder oder Vereinsgläubiger.
Wie wird der Notvorstand ausgewählt?
Die Auswahl des Notvorstandes steht im Ermessen des Gerichts, erfahrungsgemäß sollten mit dem Antrag bereits Vorschläge unterbreitet werden, wer dafür bereitsteht und in Frage kommt. Findet sich keine geeignete oder bereite Person, muss das Vereinsregister den Antrag zurückweisen – denn gegen seinen Willen kann keiner zum Vorstand oder Notvorstand bestellt werden. Ist der Notvorstand bestellt, dann kann er die Rechte nach der Satzung und dem Bestellungsbeschluss ausüben, z.B. Rechtsgeschäfte tätigen oder zu einer Mitgliederversammlung laden.
Das Verfahren zur Bestellung eines Notvorstandes ist in der Praxis aufwendig, zumal die diversen formellen Anforderungen und Darlegungen gegenüber dem Vereinsregister erfüllt werden müssen. Es empfiehlt sich daher immer, eine satzungsgemäße Besetzung durch Nachwahl vorzunehmen. Ein Notvorstandsverfahren sollte erst als allerletztes Mittel eingeleitet werden – in der höchsten Not.
Info: Vereinsregister
Die Einsicht in das Vereinsregister ist für jedermann beim Amtsgericht Charlottenburg möglich. Auch über einen Rechtsanwalt kann sie durch digitale Einsichtnahme erfolgen, dafür fallen 5,36 Euro an Gerichtsgebühren an.
Beispiel eines Vereinsregisterauszugs:
2.a) Name des Vereins Kleingartenverein XY e.V.
b) Sitz des Vereins Berlin
3.a) Allgemeine Vertretungsregelung Der Vorstand im Sinne des § 26 BGB besteht aus, dem/der stellvertretenden Vorsitzenden und dem/der Kassenwart/in.
Der Verein wird gerichtlich und außergerichtlich vertreten durch zwei Vorstandsmitglieder gemeinsam.
Sven Kohlmeier
Rechtsanwalt Sven Kohlmeier, spezialisiert im Vereinsrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht.
Dieser Textbeitrag ist in der Juni-Ausgabe 2021 in der Verbandszeitschrift 'Berliner Gartenfreund', Seite 6/18 bis 6/19, erschienen und mit freundlicher Genehmigung des Autors auch hier.